Hof Prädikow Rundgang
Fabian Wahl
13. December 2021
#DigitaleOrte

Hof Prädikow: Wie aus einem alten Hof ein neuer dörflicher Lebensmittelpunkt entsteht

Susan Schulze hat den Absprung aus der Hauptstadt geschafft. Wovon viele nur träumen, haben sie, ihr Mann und ihre beiden Kinder durchgezogen: Sie haben Berlin verlassen und einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Seit zwei Wochen wohnen und arbeiten sie auf dem Hof Prädikow in der Märkischen Schweiz, etwa 30 Kilometer östlich von Berlin.

Das Gemeinschaftsprojekt Hof Prädikow zählt sicherlich zu den derzeit originellsten Formen des gemeinsamen Arbeitens und Wohnens. Engagierte Berliner:innen beleben im äußeren Speckgürtel Berlins einen brach liegenden Hof in einem 250-Einwohner-Dorf. Sechs Parteien haben das erste Mehrfamilienhaus bezogen.

Hof Prädikow: Gemeinsam statt allein

„Wir wollten in einer Gemeinschaft leben und nicht nur unter uns bleiben“, erzählt Schulze. Zehn Jahre habe sie in Berlin gelebt. „Für uns hätte es sich deshalb komisch angefühlt, nach so langer Zeit in der Großstadt auf irgendein Dorf in ein Einfamilienhaus zu ziehen.“ Nun bewohnen Schulze und ihre Familie eine Mietwohnung im ersten Obergeschoss und können von dort beobachten, wie sich der Hof Tag für Tag weiterentwickelt, wie aus Ideen Wirklichkeit wird.

Blick auf Hof Prädikow

Der Hof Prädikow hat eine Fläche von neun Hektar. Foto: Fabian Wahl

Der Hof Prädikow ist ein gigantisches Projekt. Vor der Wende bildete das Ensemble aus 15 Gebäuden mit einer Fläche von neun Hektar das Zentrum des Dorfes. Hier lebten und arbeiteten etwa 100 Dorfbewohner:innen: Es gab landwirtschaftliche Betriebe, Scheunen, Tierställe, eine Schmiede, eine Brennerei und einige Handwerksbetriebe. Nach der Wende lag der Hof dann jahrzehntelang brach. Jetzt wird der Hof wieder ein Wohn- und Arbeitsmittelpunkt für Menschen. Schon in zwei Jahren sollen hier etwa 50 Erwachsene und 30 Kinder leben. Ein Großteil kommt aus Berlin und arbeitet digital.

Bis auf dem Hof Prädikow die ersten Bagger anrollten, waren vier Jahre Planung vorausgegangen. „Es hat viel Zeit und Kraft gekostet“, berichtet Schulze, die als Webentwicklerin für einen Verein tätig ist, der die digitale Bildung von Kindern fördert. Zunächst hatte ein Kern von Berliner:innen versucht, das Projekt alleine zu realisieren. Dafür gründeten sie später einen Verein. Während die Gruppe wuchs, wurde ihnen bald klar, dass sie Partner:innen benötigen würden, damit ihre Visionen nicht zu Illusionen verkommen.

Starke Partner im Rücken

Die Gruppe holte die Stiftung trias mit ins Boot, über die der Hof erworben werden konnte. Diese verpachtet die Wohngebäude an die Mietergenossenschaft Selbstbau, welche die Sanierung und den Umbau zu Mietwohnungen übernimmt. Außerdem wird der Hof Prädikow über Förderprojekte finanziell unterstützt. Um alles, was das Gewerbe und Gemeinschaftsräume betrifft, kümmert sich der Verein.

Coworking Space Hof Prädikow

Durch digitales Arbeiten sind viele Bewohner:innen nicht mehr ortsgebunden und nutzen das Coworking Space auf Hof Prädikow. Foto: Fabian Wahl

Zahlreiche Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Allein die Prüfung auf Statik und Schadstoffe dauerte zwei Jahre. „Wir sind zwischenzeitlich jedes zweite Wochenende hierher gekommen, haben gemeinsam angepackt und uns kennengelernt“, berichtet Schulze. Gemeinsam räumten sie die Gebäude leer, kümmerten sich um die Entsorgung von schädlichen Substanzen.

Auf der einen Seite schweißten die Aktionen die Mitstreiter:innen zusammen, auf der anderen Seite mussten einige eingestehen, dass es ihnen zu viel wurde, was man ihnen an Engagement abverlangte. „Manche sind dann nicht wiedergekommen“, erinnert sich Schulze.

Engagement der Bewohner:innen vom Hof Prädikow

Auch Marketingfachmann Axel Watzke gehört zu den ersten, die sich in das Projekt mit einbrachten und gehört mit Schulze und weiteren Protagonist:innen zum Koordinationsteam. Das Projekt könne nur funktionieren, wenn alle mitmachen und sich einbringen, andernfalls wäre es nicht bezahlbar. Des Weiteren sei die Gruppensympathie entscheidend. „Das Projekt kann kippen, wenn sich drei Personen immer querstellen und schlechte Stimmung verbreiten.“

 

 

Alle müssten kommunikationsfähig sein und Kompromisse eingehen können. Deshalb habe man auf eine gute Durchmischung geachtet: Familien, Singles, junge Leute, ältere Leute. Eine WG ist geplant und auch Wohnen auf Zeit soll hier möglich werden. Auch für Gewerbetreibende soll es Angebote geben. Künstler:innen sind ebenso dabei wie eine Ärztin, Handwerker oder IT-ler. „Unsere älteste Bewohnerin ist 85 Jahre alt und möchte ihren Lebensabend hier verbringen.“ Sie wird in ein Wohnhaus für altersgerechtes Wohnen ziehen.

Die gemeinsamen Vorstellungen an das Gemeinschaftsprojekt haben sie in mehreren Workshops erarbeitet. „Das Projekt ist komplett digital organisiert“, sagt Watzke. „Andernfalls wäre die Kommunikation mit 50 Erwachsenen schwierig.“

Dorf hat wieder einen Bezugspunkt

Für das Dorf ist die Wiederbelebung des Hofes ein Gewinn. „Mit diesem Ort verbinden die Menschen sehr viel“, sagt Watzke. Es lebten noch immer viele Menschen im Dorf, die auf dem Hof gearbeitet hätten. Sie seien natürlich besonders interessiert daran, wie der Hof in Zukunft aussehen werde. „Wir sind nur ein Teil der Geschichte dieses Ortes“, ergänzt Schulze. „Aber wir haben die Tore wieder geöffnet.“

Schwarzer Schwan Prädikow

Das Café Schwarzer Schwan auf dem Hof wird gemeinsam von einer Dorf- und einer Hofbewohnerin betrieben. Foto: Fabian Wahl

Wer durch das Tor des Hofes läuft, kommt direkt am zentralen Hofgebäude vorbei: Der Dorfscheune. Hier werden digitales Arbeiten und der Austausch mit der Dorfbevölkerung miteinander verbunden. Es gibt einen Coworking-Space, in dem bereits die ersten Plätze genutzt werden, einen hellen Veranstaltungsraum und ein gemütliches Café mit dem Namen „Schwarzer Storch“, welches von einer Dorf- und einer Hofbewohnerin gemeinsam betrieben wird.

Im Veranstaltungsraum lief bereits ein Salsa-Kurs. Es gibt Theaterproben und für die Kinder und Jugendlichen in Prädikow und Umgebung wird nun ein Breakdance-Kurs angeboten. Die Freiwillige Feuerwehr kann die Räume ebenso für Events oder Meetings anmieten wie die örtliche Sparkasse. Perspektivisch sollen die Räume auch für Seminare und Firmenevents für Menschen aus anderen Regionen geöffnet werden. Da es in Prädikow weder ein Restaurant, noch eine Kneipe oder einen anderen zwanglosen Treffpunkt gibt, wurde in der Dorfscheune ein kleiner Raum als Dorfwohnzimmer eingerichtet, wo Menschen zusammen etwas trinken oder Karten spielen können.

Hof Prädikow Plakat

Auch für die Dorfjugend werden auf Hof Prädikow Angebote geschaffen, darunter ein Breakdance-Kurs. Foto: Fabian Wahl

Teilhabe der Dorfgemeinschaft Prädikow

In einem weiteren Projekt namens Dorfakademie möchten Hof- und Dorfbewohner:innen noch mehr zusammenwachsen, indem sie gemeinsame Ideen für die Zukunft des Dorfes erarbeiten und Wissen teilen. „Viele Projekte kranken daran, dass sie keinen Kontakt zur Bevölkerung haben“, sagt Watzke. In Prädikow stießen Watzke, Schulze und Co. auf einen sehr lebendigen Kulturverein. „Das Dorf ist es gewohnt, dass man Aktionen gemeinsam macht. Das hat uns super geholfen“, berichtet Schulze.


Lesen Sie auch die weiteren Artikel unserer Blogserie #digitaleOrte:

Kreis Höxter: „Die Renaissance des ländlichen Raums“
Summer of Pioneers: Wie sich ein Dorf neu erfindet
Silicon Vilstal: Wie das Land und Start-Ups zusammenwachsen
Soest Digital: „Als Digitale Modellregion sind wir aufgewacht“
Amt Hüttener Berge: Die Digitalisierung des Trampens
Verstehbahnhof: Digitales Lernen an Gleis 1
Hennef: Freie digitale Netze für alle
Betzdorf: Mit eigenem Breitbandnetz und „Dorffunk“ zum digitalen Ort
Die smarten Senioren in Elsoff
Schwabmünchen: eine Stadt vernetzt sich mit Chips
Lemgo Digital: Smarte Lösungen für die Mittelstadt
Smart-City-Cockpit Bad Hersfeld: Daten erheben gegen Verkehrslärm

Titelfoto: Fabian Wahl/www.salt-content.de

Dieser Artikel und die Fotos sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Write a comment