Grafik: in der unteren Hälfte Häuserfassaden, in dunklem Grün. Oben eine hügelige Silhouette. Ganz oben der Schriftzug Hennef. Rechts an der Seite der Grafik steht der Hashtag Digitale Orte.
Fabian Wahl
25. Juli 2019
#DigitaleOrte

Hennef: Freie digitale Netze für alle

Caspar Armster sperrt das eiserne Tor auf und tritt ein in den Bastionsturm der Burg Blankenberg.  Unzählige Treppenstufen später blickt Armster hoch oben auf dem Turm über Hennef, die Stadt der 100 Dörfer. Von hier aus senden drei Antennen Signale für freies WLAN in die Region.

„Wir bieten hier in Hennef ein offenes Netzwerk an, um jedem Zugang zum Internet zu ermöglichen“, sagt Caspar Armster vom Verein Freie Netzwerker Hennef im Rheinland. „Das funktioniert durch Freifunk total gut, weil jede(r) mitmachen kann.“

Alternative zum Provider

Eine schnelle und verlässliche Internetverbindung ist für viele Menschen heute so normal wie die Versorgung mit warmem Wasser. In ländlichen Regionen sieht es hingegen oft anders aus. Provider machen die Rechnung auf, ob sich die Verlegung eines Netzes für Dörfer mit wenigen Hundert Einwohnern überhaupt lohnt. Und viele Kommunen tun sich schwer, eine angemessene Internetverbindung aus eigener Kraft auf die Beine zu stellen.

Caspar Armster von den Freien Netzwerkern Hennef auf der Burg Blankenberg. Das Foto wurde von einer Drohne aufgenommen. Neben dem Turm der Burg kann man noch in die Ferne sehen, in der sich zwischen viel grün vereinzelte Häusersiedlungen befinden.

Caspar Armster von den Freien Netzwerkern Hennef auf der Burg Blankenberg. Foto: Sascha Schürmann/www.salt-content.de.

In Hennef sieht das anders aus. „Wir machen uns unabhängig von den großen Providern“, sagt Armster, während er auf dem Turm der Burg Blankenberg checkt, ob die Antennen ihre Signale im Umkreis verteilen. Hinter ihm flattert die rot-weiße Stadtflagge von Hennef im Wind. Die Antennen erzeugen Richtfunkstrecken, über die Internet in einer Entfernung von bis zu 11 Kilometer bereit gestellt wird. Nötig ist hierfür eine Verknüpfung mit speziellen WLAN-Routern, die im Stadtgebiet vom Verein und Unterstützern montiert sind. So entsteht eine relativ dichte Netzabdeckung.

2.000 Personen loggen sich ein

Vor Jahren hatten die Freien Netzwerker erstmals in einer Flüchtlingsunterkunft freies WLAN installiert. Inzwischen loggen sich täglich 2.000 Nutzerinnen und Nutzer ein. „Wir haben sowohl die Kommunen als auch den örtlichen Einzelhandel und Privatpersonen und Vereine, die uns unterstützen und ihr Internet öffentlich zugänglich machen“, erzählt Armster.

Der Einzelhandel und die Gastronomie könnten einen Freifunk-Router für 15 Euro erwerben und damit bei Kunden mit einem zusätzlichen Service punkten – freies WLAN gegen die Verwahrlosung der Innenstädte. Ein Anwohner im Ortsteil Bödingen hat seinen Router extra so ausgerichtet, dass die Schüler an der benachbarten Bushaltestelle davon profitieren.

„Wir hatten bereits 100 Freifunk-Knoten aufgestellt, ehe das Rathaus etwas davon mitbekommen hat“, schmunzelt Armster, der hauptberuflich Fernsehstudios designt. Bis heute gebe es keinen politischen Beschluss dazu.


Filmische Eindrücke aus Hennef. Sie sind Teil eines Smart-Country-Films aus vier digitalen Orten.


WLAN zwischen Bauwagen und Graffiti

Ein großer Profiteur ist die kommunale Kinder- und Jugendarbeit. Im Jugendpark hinter dem Bahnhof bietet die Stadt eine offene Kinder- und Jugendarbeit an. Etwa 60 Kinder und Jugendliche kommen im Schnitt mehrmals pro Woche hierher, um ungezwungen in einem ausrangierten Bauwagen oder auf dem mit Graffiti übersehenen Gelände „abzuhängen“ oder die Angebote zu nutzen.

An das Grundstück grenzt ein Parkhaus, an dem ein Freifunk-Router montiert ist. Auf die Jugendlichen wirkt er wie ein Magnet. Denn auch dank des freien WLAN kommen so viele Jugendliche in den Jugendpark.

Heutzutage gehörten Smartphone und Internet einfach dazu, sagt Anna Seidel, Leiterin der Abteilung Jugendförderung bei der Stadt Hennef. „Wir greifen das gerne auf und machen gemeinsam Projekte, wie den Wahl-O-Mat oder andere Umfragemedien.“ So kommen sie und ihre Kollegen mit den Kindern und Jugendlichen in Kontakt.

Caspar Armster und Anna Seidel stehen nebeneinander im Jugendpark in Hennef. Sie blicken gemeinsam auf ein Smartphone, das Caspar Armster in den Händen hält.

Caspar Armster, Freie Netzwerker Hennef und Anna Seidel, Leiterin der Abteilung für Kinder, Jugend und Familienförderung im Jugendpark in Hennef. Foto: Sascha Schürmann/www.salt-content.de.

Tracking durch LoRaWAN

Dabei ist Freifunk nur ein Aspekt, der Hennef im Vergleich zu anderen Kommunen dieser Größenordnung zu einem Vorreiter macht. Auch das Internet of Things Netzwerk hat in Hennef Einzug gehalten. Mit der LoRaWAN-Technologie werden Umweltsensoren über weite Strecken angesteuert. Die Daten werden dann über Gateways ins Internet übertragen.

Ausgangspunkt ist wiederum die Burg Blankenberg, die im 12. Jahrhundert errichtet wurde, als sich die Menschen gerade über technologische Errungenschaften wie den Trittwebstuhl und die Schubkarre freuten. 900 Jahre später werden über die Antennen die Daten von Sensoren über Strecken von 20 Kilometer verschickt.

Millimetergenauer Pegelstand

Unten an der Sieg trifft Armster den Leiter der Feuerwehr, Markus Henkel. Die Sieg ist mit einem Sensor ausgestattet. Dieser sendet von hier aus alle 15 Minuten millimetergenau den aktuellen Pegelstand des Flusses. Wenn bestimmte Grenzwerte über- oder unterschritten werden, erhalten die Mitarbeitenden im Rathaus automatisch eine Nachricht. Bei einem zu geringen Pegel wird die Kanufahrt gesperrt, um Flora und Fauna zu schützen. Bei Hochwasser rückt die Mannschaft der 200 mitgliederstarken Feuerwehr aus.

„Die neue Warntechnik ermöglicht uns eine wesentlich schnellere Zugriffszeit“, sagt Feuerwehrleiter Henkel. Er beschreibt, dass von den Zuflüssen die größte Gefahr ausgeht. Diese könnten binnen weniger Minuten sehr schnell ansteigen. Mit den herkömmlichen Mitteln werde bisher aber nur der Pegel der Sieg gemessen, an den Standorten Betzdorf und Eitorf. Zu ungenau, findet er.

1992 schwoll der Hanfbach – eigentlich ein Rinnsal – auf mehrere Meter an, sodass darüber erbaute Häuser unterspült wurden. Hauswände und Kellerwände wurden mitgerissen. Bewohner mussten blitzartig über Nacht aus ihren Häuser flüchten. Zwei Gebäude wurden wegen akuter Einsturzgefahr sogar abgerissen.

Feuerwehr kann schneller reagieren

Es ist ein Szenario, das Henkel am liebsten vermeiden oder zumindest schneller darauf reagieren möchte. Deshalb sollen auch die Zuflüsse der Sieg sechs Sensoren erhalten. „Wir haben dann die Möglichkeit, viel schneller zu reagieren. LoRaWAN ist viel genauer“, so Henkel. Die Kosten für die Hardware übernimmt die Stadtverwaltung. Die Software haben die Freien Netzwerker aufgesetzt und als Open Source auch anderen Kommunen zur Verfügung gestellt. Den Server betreibt der Verein.

Vom Parkplatzsensor bis zum Bienenstock

Die Einsatzmöglichkeiten von LoRaWAN sind vielfältig. In Zukunft sollen präventiv auch Feuerwehrzufahrten mit dem Sensor ausgestattet werden. Der Sensor wird auf dem Boden verankert. Wenn ein Auto darüber parkt, gibt es ein Signal ans Ordnungsamt. „Dann müssen Falschparker nicht erst abgeschleppt werden, wenn es brennt“, sagt Armster. Auch auf einzelnen Parkbuchten gibt es bereits Sensoren, worüber sich auch die Parkplatzsuche digitalisieren ließe.

Armster sieht in der LoRaWAN-Technik eine Hybrid-Lösung von Kommune und Ehrenamt. Denn die Freien Netzwerker wollen nicht nur die Kommune voranbringen, sondern auch der Zivilgesellschaft und Unternehmen einen Nutzen bringen. Per LoRaWAN können zum Beispiel auch Imker ihre Honigstände aus der Entfernung messen.

Andere Kommunen ermutigen

Die Freien Netzwerker Hennef wollen auch andere Kommunen beim Sprung ins digitale Zeitalter helfen. „Ich denke, dass Kommunen ungemein voneinander profitieren können“, findet er. Armster hat die Erfahrung gemacht, dass Vereine mit ihren Projekten gerade in kleinen Kommunen auf offene Ohren stoßen. Er spricht von kurzen, schnellen Entscheidungswegen, die teilweise direkt über den Bürgermeister laufen, und Synergien, wenn sein Verein Projekte mit der VHS oder dem Jugendamt auf die Beine stellt.

„Mir ist aufgefallen, wie wenig Digitalisierung in Schulen stattfindet“, sagt Armster, Vater von zwei Töchtern, neun und elf Jahre alt. „Dabei braucht die digitale Gesellschaft Nachwuchs.“

Deshalb zeigen die Freien Netzwerker im sogenannten Machwerk, eine offene Werkstatt, samstags Familien erste Schritte beim Programmieren. Der gemeinnützige Verein Machwerk kooperiert mit der Stadt Hennef und der VHS. Kinder können dort ab dem Sommer Drehbücher schreiben und Filme machen. Und künftig sollen auch Senioren in einem VHS-Kurs im Machwerk lernen, wie sie ein Tablet einsetzen oder 3D-Drucke machen.

Digitale Lösungen steigern die Lebensqualität in Städten und Gemeinden. Dies zeigen hierzulande bereits einige Beispiele. Unsere Blogserie #digitaleOrte stellt einige digitale Projekte auf kommunaler Ebene vor. Was sind die Vorteile dieser digitalen Lösungen? Welche Auswirkungen haben sie auf die Kommune? Wie nehmen die Bürgerinnen und Bürger die Projekte an? Wir gehen diesen Fragen in acht Kommunen nach. 

Lesen Sie auch die weiteren Artikel unserer Blogserie #digitaleOrte:

Amt Hüttener Berge: Die Digitalisierung des Trampens
Verstehbahnhof: Digitales Lernen an Gleis 1
Betzdorf: Mit eigenem Breitbandnetz und „Dorffunk“ zum digitalen Ort
Die smarten Senioren in Elsoff
Schwabmünchen: eine Stadt vernetzt sich mit Chips 
Lemgo Digital: Smarte Lösungen für die Mittelstadt

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  • wowo wrote on 25.07.2019

    Gefällt mir,

    könnte ich mir auch bei mir vor Ort vorstellen.
    Vielen Dank für den Bericht.

    LG
    wowo