Ein ländliches Dorf

Home Office auf dem Land: „Sehnsucht nach einem naturnahen Leben“

Die Corona-Pandemie hat dem mobilen Arbeiten aus dem Home Office einen kräftigen Schub gegeben. Davon können auch ländliche Regionen und kleine Kommunen profitieren. Die Geschäftsführerin des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation, Inger Paus, erklärt im Interview, wie das funktionieren kann.

Mehr als die Hälfte der Stadtbewohner:innen kann sich Ihrer neuen Studie zufolge inzwischen vorstellen, auf das Land zu ziehen. Woher kommt dieser Wunsch?

Inger Paus: Schon vor der Corona-Pandemie gab es bei vielen Menschen den Drang, auf das Land zu ziehen. In Deutschland sind die Immobilienpreise zuletzt enorm gestiegen. In Ballungsgebieten können sich nicht mehr alle Familien eine schöne Wohnung oder ein Haus mit Garten leisten. Viele suchen deshalb im Speckgürtel oder auf dem Land.

Die Corona-Pandemie hatte dann einen spürbaren Effekt. Viele Arbeitnehmer:innen und vor allem Familien mit Kindern mussten sich zu Hause organisieren und haben sich nun gefragt, was Lebensqualität für sie bedeutet. Bisher war es meistens so, dass die Menschen dorthin ziehen, wo ihre Jobs auch sind. Für viele war dieses Paradigma „Ich lebe dort, wo ich arbeite“ nun durch die neuen Home-Office-Möglichkeiten seit Beginn der Corona-Pandemie aufgehoben. Ob es ein Paradigmenwechsel wird, werden wir sehen.

Also spielen viele Familien schon länger mit dem Gedanken. Und die Corona-Pandemie gibt dem Ganzen einen Schub?

Paus: Ein gutes Drittel der Umfrageteilnehmenden sagt, Corona habe mehr Druck auf das Thema gegeben. Unsere Umfrage hat aber nur eine Momentaufnahme eingefangen. Wir müssen dann auch schauen, ob sie den Umzug tatsächlich vollziehen. Das wird die Entwicklung in den nächsten Jahren zeigen.

Was versprechen sich Stadtbewohner:innen von einem Umzug auf das Land?

Paus: Wir hatten vermutet, dass die günstigeren Preise für das Eigenheim im Fokus stehen. Das war aber nicht so. Der Aspekt Lebensqualität und die Nähe zur Natur und besserer Luft sind viel wichtiger. Es scheint die Sehnsucht nach einem gesünderen, naturnahen Leben zu sein, welche die Menschen in Deutschland am meisten zu dem Schritt motiviert. Die finanziellen Gründe sind weniger wichtig.

Was können ländliche Kommunen unternehmen, um Stadtbewohner anzulocken?

Paus: Für Kommunen war es bislang immer wichtig, attraktive Arbeitgeber anzuziehen oder selbst ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Durch die nun teilweise mögliche räumliche Entkopplung bzw. Home Office hat dieser Aspekt an Bedeutung verloren. Es ist also völlig ok, wenn der Arbeitgeber woanders sitzt. Umso wichtiger ist die Internetverbindung. Die Zusammenarbeit über Kollaborationstools und Videokonferenzen funktioniert nur, wenn die Internetverbindung stabil und ausreichend ist. Es ist schon ein Unterschied, ob ich Videos ruckelfrei streamen kann, oder ob ich soweit abhängig bin, dass ich meinen Job vernünftig erfüllen kann.

Ist die digitale Infrastruktur tatsächlich ein entscheidender Faktor?

Paus: Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, eine Lösung zu finden – vom mobilen Internet bis hin zum Satelliten als Ultima Ratio. Viele Kommunen bekommen inzwischen Druck von ihren Bürger:innen oder aus der Wirtschaft und haben die Bedeutung erkannt. Viele Kommunen nehmen das Thema selbst in die Hand. Tatsächlich sagen zwei Drittel der Stadtbewohner:innen, dass eine Internetverbindung unverzichtbar für sie ist, wenn sie auf das Land ziehen möchten.

Warum tun sich manche Kommunen dennoch so schwer, Menschen anzuziehen?

Paus: Das ist häufig eine schwierige Gemengelage. Denn als Kommune ist man zuerst von den Einnahmen abhängig. Wenn in den vergangenen Jahren viel Gewerbe weggebrochen ist, hat man natürlich auch weniger Geld, um in die eigene Infrastruktur und Attraktivität zu investieren. Wenn Kommunen einmal Infrastruktur abbauen mussten, wie zum Beispiel den ÖPNV stilllegen oder die Grundschule schließen, dann wird es ungleich schwieriger, dies wieder aufzubauen.

Auf welche Punkte sollten ländliche Kommunen als Erstes achten?

Paus: Zunächst sollte es Bauland oder genügend Immobilien geben. Dann kommt das Thema Internetanbindung. Zudem müssen Kommunen immer mit den Bürger:innen im Gespräch bleiben. Welche Vorstellungen haben sie von der Zukunftsgestaltung der Gemeinde? Und der letzte Punkt: Die Verkehrsanbindung muss stimmen. Die Bürger:innen möchten die umliegenden Gebiete auch ohne Auto erreichen.

Wann wird der Rückzug auf das Land ein Trend?

Paus: Es gibt schon erste Anzeichen. Mit Beginn der Corona-Pandemie haben sich viele Menschen aus Berlin und anderen Ballungsgebieten einen Zweitwohnsitz auf dem Land eingerichtet. Noch ist unklar, ob dies ein Phänomen von Besserverdienenden ist oder alle Schichten und soziale Milieus durchdringt. Das werden die nächsten 12 bis 24 Monate zeigen.

Das Interview führte Fabian Wahl.

Titelfoto: Albrecht Fietz auf Pixabay

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