Grafik: in der unteren Hälfte Häuserfassaden, in dunklem Grün. Oben eine hügelige Silhouette. Ganz oben der Schriftzug Bad Hersfeld. Rechts an der Seite der Grafik steht der Hashtag Digitale Orte.
Fabian Wahl
17. Oktober 2019
#DigitaleOrte

Smart-City-Cockpit Bad Hersfeld: Daten erheben gegen Verkehrslärm

Katja Sippel würde den Lärm der Autobahn 4 am liebsten abschalten. „Wenn ich in der Mittagszeit auf der Terrasse sitze, stört mich der Verkehrslärm ungemein“, sagt die Bad Hersfelderin. Sie wohnt in der Nähe der Verkehrsader, die Hessen mit Thüringen und Sachsen verbindet. Die A4 führt quasi mitten durch die Stadt. Und jetzt soll die Autobahn auch noch ausgebaut werden. Dafür wollen sich die Stadt Bad Hersfeld und die Bevölkerung wappnen. Sie messen die Belastung, um datenbasierte Argumente für eine Lärmschutzwand zu sammeln.

Sippel ist eine von ihnen. „Mich stört das schon die ganzen Jahre: Ständiger Lärm um mich herum“, schildert sie. Jetzt ergebe sich die Möglichkeit, die Werte festzuhalten und diese an die Stadt zu senden.

Messung des Verkehrslärms in Echtzeit

Das funktioniert ziemlich mühelos. Alles, was die Bürger dafür benötigen, ist die entsprechende App der Stadt. Nach der Installation ist die Messung mit wenigen Klicks erfolgt. Sippel macht es vor: Sie steht nun neben der Autobahn, hält das Tablet in die Höhe und lässt die Funktion zehn Sekunden lang durchlaufen.

Die Bad Hersfelderin Katja Sippel hält ihr Tablet in die Luft und misst mit einer App den Verkehrslärm an der A4. Frau Sippel ist in der unteren Hälfte des Bildes, in der oberen Hälfte sind die verschwommenen Konturen eines vorbeifahrenden LKWs.

Die Bad Hersfelderin Katja Sippel misst mit ihrem Tablet und einer App den Verkehrslärm an der A4. Foto: Sascha Schürmann/www.salt-content.de.

Die Daten werden dann automatisch ins Rathaus geschickt und dort weiterverarbeitet. Die App hält außerdem per GPS den Standort sowie die Uhrzeit fest. Immer dann, wenn sich während Sippels Messung, ein Lastwagen vorbeischiebt, schlägt die Skala nach oben aus. Diesmal liegt der Durchschnittswert am Ende bei 69,9 dB. Die App wurde so benutzerfreundlich gehalten, dass sie auch Jogger im Park mal zwischendurch nutzen können.

In der Verkehrslärmschutzverordnung sind gewisse Grenzwerte verankert, die bei einem Neubau oder wesentlichen Veränderung von Straßen nicht überschritten werden dürfen. Diese liegen in Wohngebieten, zu denen der Wohnort von Katja Sippel zählt, bei 49 dB in den Nachtstunden und bei 59 dB tagsüber.

Zwischen Autobahn und Bahntrasse

2015 nutzten täglich rund 39.000 Fahrzeuge, darunter 8.600 Lastwagen, die A4 bei Bad Hersfeld. Inzwischen dürften es mehr sein. Katja Sippel verspricht sich von der Lärmmessung, dass Land und Bund beim Ausbau der Autobahn eine Lärmschutzwand auf ihrer Seite installieren. Die Lautstärke hat nicht nur Auswirkungen auf die Bewohner, auch die Stadt hat Sorge. „Bad Hersfeld ist ein Kurort und das soll auch so bleiben“, sagt Meik Ebert, Sprecher der Stadtverwaltung.

Lauftaufnahme aus einer Drohne. Im Vordergrund sind grüne Wiesen. Weiter am Horizont ist die hessische Mittelstadt Bad Hersfeld.

Blick auf den Kurort Bad Hersfeld in Hessen. Foto: Sascha Schürmann/www.salt-content.de.

Der Kurpark liegt auf der anderen Seite der Autobahn. Wenn es dort noch lauter wird als ohnehin schon, könnte es sein, dass Bad Hersfeld die strengen Kriterien nicht mehr erfüllt. Das Prädikat Kurort wäre passé. „Wir möchten zwei Lärmschutzwände haben, sonst schallt es zurück“, sagt Ebert. „Der Landesbetrieb Hessen Mobil möchte aber nur eine genehmigen.“

Arbeitsplätze versus Gesundheitsbelastung

Die gute Verkehrsanbindung in Bad Hersfeld, dazu zählen auch die nahe gelegene A7, die den Norden mit dem Süden verbindet, sowie drei stark frequentierte Bundesstraßen, ist für das Mittelzentrum Freud und Leid zugleich. Gerade wegen der exponierten Lage hat der Versandhändler Amazon hier vor 20 Jahren sein bundesweit erstes Verteilzentrum eröffnet, wie Ebert berichtet. Ein weiteres ist dazu gekommen. Und auch der Bücher-Großhandel Libri ist hier beheimatet. Jahrelang galt die Formel: Mehr Niederlassungen, mehr Arbeitsplätze. Inzwischen wird der ernst zunehmende Gesundheitsfaktor mit einkalkuliert.

Martin Steimar ist in Bad Hersfeld verantwortlich für die Smart-City-Themen. Er sagt, die Belastung werde noch immer häufig anhand von Simulationen errechnet. Heute müsse man aber richtige Daten erfassen. Sprecher Ebert ergänzt: „Das sind zwar auch keine Daten, die man vor Gericht verwerten kann. Sie sind aber ein Indikator. Und da muss man politisch erst mal vorbei.“

 


Filmische Eindrücke aus Bad Hersfeld. Sie sind Teil eines Smart-Country-Films aus vier digitalen Orten.


 

Weiteren Input bekommt die Datensammlung über elf sogenannte Smartboxen, die Bürger auf ihrem Grundstück installiert haben. Darüber lassen sich neben Lautstärke auch UV-Belastung, Helligkeit, Feinstaub, Temperatur und Luftfeuchtigkeit festhalten – kontinuierlich 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Die Entwicklung hatte ein Bad Hersfelder Unternehmen übernommen.

Im Urban-Cockpit läuft alles zusammen

Martin Steimar sitzt inzwischen im Rathaus. Hinter im hängt ein riesiger Monitor an der Wand, auf dem sämtliche Daten zusammenfließen und benutzerfreundlich für die Öffentlichkeit aufbereitet werden. Zumindest in Bad Hersfeld sind die Zeiten vorbei, in denen solche Datensätze allein der Verwaltung zur Verfügung standen. Jeder kann die Ergebnisse im sogenannten Urban-Cockpit einsehen.

Martin Steimar steht vor einem großen Monitor, auf dem zahlreiche Daten im Urban Cockpit zusammenlaufen und visualisiert werden.

Martin Steimar vor einem großen Monitor, auf dem zahlreiche Daten im Urban Cockpit zusammenlaufen und visualisiert werden. Foto: Sascha Schürmann/www.salt-content.de.

Das sind zum einen die Lärmdaten, kategorisiert nach höchstem Messwert, letztem Messwert, niedrigstem Wert und einer Übersichtskarte. Zum anderen sind es die Umweltdaten aus den Smartboxen, der Füllstand städtischer Mülleimer und die Auslastung der Ladestationen für E-Autos. Auch das digitale Parkleitsystem ist integriert und zeigt an, wo und wie viele Parkplätze noch frei sind. Besucher der bekannten Bad Hersfelder Festspiele bekommen wiederum zum Wetterbericht die passende Abendgarderobe vorgeschlagen.

Ideen für die Zukunft

„Wir können hier viele Daten miteinander verknüpfen“, sagt Steimar. Wenn die Feuerwehr zu einem Einsatz ausfährt und sich ein Stau auf dem Weg gebildet hat, könnten Ampeln so geschaltet werden, dass die Rettungskräfte schneller zum Ziel kommen. Auch die Daten aus den E-Ladestationen könnten weitergenutzt werden. Wenn das System etwa anzeigt, dass das Kabel nicht im Auto steckt, handelt es sich um einen Falschparker. „Wir könnten dann eine Politesse herausschicken“, sagt Steimar. Noch sind die beiden Beispiele Zukunftsmusik, vielleicht aber schon bald Wirklichkeit.

Bürgerin Katja Sippel will ihren Beitrag dazu leisten, dass die Lebensqualität im Kurort Bad Hersfeld jedenfalls nicht schlechter wird. „Ich habe mir vorgenommen, den Lärm häufiger zu messen – vor der Arbeit, abends oder am Wochenende.“ Denn auch Sippel weiß: Je mehr Daten die Stadt am Ende vorliegen hat und je mehr Bürger sich beteiligen, desto lauter ist ihre Stimme beim bevorstehenden Autobahnausbau.

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