Ein Mann steht auf einem Berg. Die Kameria filmt ihn von hinten. Er schaut aus der Ferne auf eine Stadt. Die Sonne geht gerade unter und die Sonne strahlt noch einmal kräftig.
Joachim Sucker
20. März 2019
Allgemein

Wenn ich Bürgermeister wäre: Meine Vision eines dritten Ortes

In unserer Reihe „Wenn ich Bürgermeister*in wäre…“ schreiben engagierte Menschen über kommunale Themen, die für sie von großer Bedeutung sind. Wie würden sie diese Themen in der Funktion einer Bürgermeisterin oder eines Bürgermeisters umsetzen? Joachim Sucker betont die Bedeutung von „dritten Orten“ in einer Kommune und beschreibt, wie er als Bürgermeister einen solchen dritten Ort gestalten würde.

Ich habe gestern mal einen Zettel aufgehängt: „Es ist wieder Schwarmzeit. Aber meist komme ich zu spät, um den Bienenschwarm wieder einfangen zu können. Deshalb suche ich ImkerInnen, die ein digitales Frühwarnsystem in ihre Stöcke einbauen wollen. Bitte kurz melden, dann können wir uns hier im Haus treffen.“

Ein dritter Ort, wie ich ihn mir wünsche

Der Zettel hängt am schwarzen Brett im Haus der Zukunft. Ich bin öfter hier. Der Kaffee ist lecker, das Zeitschriftenregal gut gefüllt. Das wäre sonst sehr teuer, all diese tollen Zeitschriften selbst zu abonnieren. Für Freitag steht der Workshop „Wie gestalten wir unseren öffentlichen Garten?“ an.  Das ist immer nett, wenn Menschen, die etwas besonders gut können, darüber berichten oder Workshops machen. Wir waren hier auch schon in New York – zwar nur mit der virtuellen Brille, aber seitdem haben die Betreiber eine kleine „digitale Tourismusagentur“ eingerichtet. Die zwei Brillen sind fast immer im Einsatz. Letztens gab es auch eine Simulation zum Klimawandel zu sehen. Wenn einem das Wasser mit der virtuellen Brille bis zum Hals steht, wird der Ernst der Lage fast greifbar. Und ein Architekt hat mit einer 3D-Präsentation die Neugestaltung des Marktplatzes gezeigt. Man konnte mit der Brille den neuen Marktplatz begehen. Das war ein Riesenspaß. Mittlerweile kenne ich ziemlich viele unterschiedliche Menschen aus unserem Ort. Manchmal komme ich und setze mich an den Tisch der Digital-Lotsen. Oft kommen ältere Menschen und wollen sich etwas am Smartphone oder Tablet zeigen lassen.  Ach, ich fühle mich einfach wohl hier und immer kommen neue Gesichter durch die Tür.

Eine Stadt ohne dritten Ort

Der Ort, in dem ich mir vorstelle, Bürgermeister zu sein, hat 30.000 Einwohner*innen und noch keinen Ort wie den eben beschriebenen. Er ist wirtschaftlich geprägt vom Mittelstand. Es gibt einige Vereine im Kulturbereich sowie Institutionen der Zivilgesellschaft. Vor 20 Jahren wurde eine Fußgängerzone mit Filialen und ortsansässigen Geschäften eingerichtet. Da war richtig was los. Heute hat sich das Bild geändert. Ein-Euro-Läden, ein Sanitätshaus, Wollladen, Bäckerei und Apotheke sind noch neben ein paar anderen Läden da. Das Möbelhaus hat geschlossen. Auch gibt es mittlerweile Leerstand. Im Sommer trifft man sich im Eiscafé, im Winter nirgendwo. Auf dem Marktplatz treffen sich Menschen, die bereits früh alkoholisiert sind. Die VHS macht seit Jahren die gleichen Kurse, in der Bibliothek werden die Öffnungszeiten auch kürzer. Im Jugendzentrum dreht sich der Kicker heiß. Aus der Eckkneipe ist ein Dönerimbiss geworden. Das öffentliche Leben ist auf dem Rückzug. Die Menschen gehen zur Arbeit und nach Feierabend höchstens mal in ihr Vereinslokal. Öffentliche Räume für alle gibt es nicht mehr. Frust beherrscht die Politik.

Und dann kommen die Anforderungen: Wir müssen der Landflucht begegnen und den digitalen Wandel mitgehen. Der Mittelstand findet keine Auszubildenden mehr. Wir müssen den Menschen digitale Teilhabe ermöglichen. Wir brauchen junge Familien im Ort.

So wie es ist, kann es nicht weitergehen.

Die Menschen ins Gespräch bringen

Als Bürgermeister würde ich einen Versuch wagen. Beginnen würde ich mit der Absicht, die Menschen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Dazu braucht es einen Raum. Einen Raum, der wenig Zugangsbeschränkungen mit sich bringt. Einen Ort, wo sich Menschen aus der Nachbarschaft treffen, wo man nicht nur über das Wetter spricht, sondern sich gegenseitig hilft, wo Fragen beantwortet werden. Wie ist das mit dem Onlinebanking? Kann jemand mein Radio reparieren? Es ist der Ort, wo das nächste Gemeindefest geplant wird. Monatlich findet die Ehrenamtsbörse statt. Der Fahrradladen lädt zu einer Tour mit e-Bikes ein. Schüler helfen Älteren bei der Benutzung digitaler Endgeräte. Ach ja, und dann gibt es noch eine Ecke mit Tischen, an denen Freiberufler*innen mal arbeiten können. Eine kleine Co-Working-Ecke.

Der dritte Ort ist der Ort, der nach dem Zuhause (1) und der Arbeitsstätte (2) ein öffentlicher Raum ist. Es ist ein Ort, der den Menschen wieder aufzeigt, dass sie Teil der Gemeinschaft sind, dass sie die Gemeinde etwas lebenswerter machen können. Vielleicht sogar ein Ort, wo neue Ideen erdacht und umgesetzt werden. Hier wird gelernt, für Probleme gemeinsame Lösungen zu finden.  Die erweiterten Möglichkeiten werden mit Hilfe digitaler Werkzeuge aufgezeigt.

Ja, aber das kostet ja Geld. Das haben wir nicht, lautet der Einwand.

Dann müssen wir uns mal darum kümmern. Der Möbelladen steht sowieso leer. Den Vermieter müssen wir begeistern. Die örtliche Wirtschaft kann auch Dienstleistungen sponsern und so den Ort für die eigene Zukunft interessanter gestalten. Die VHS unterstützt die Anliegen mit ihren Kursleitungen, die dort regelmäßig Beratung zu Medienkompetenzen anbieten: Von Datenschutz bis Nutzung verschiedener Apps auf dem Smartphone. Die Bibliothek verlegt Lesungen in das neue Zentrum. Vielleicht werden auch Zeitschriftenregale aufgestellt.

Am Anfang eine Zukunftswerkstatt oder ein BarCamp veranstalten

Anfangen werde ich mit einer Zukunftswerkstatt oder einem kleinen Barcamp. Mein Aufruf an die Bürger*innen: „Wer hat Interesse, das neue Haus der Zukunft zu gestalten?“ Kommunale Träger, konfessionelle Träger, Jugendzentrum, Schüler*innen, Seniorenvertretung, Landfrauen, Amtsträger*innen, Sportverein, Handwerker*innen, Einzelhandel, Mittelstand – sie alle werden in Vorgesprächen eingeladen, den Prozess gemeinsam zu gestalten. Die örtliche Facebook-Gruppe wird aktiviert.

Daraus entwickelt sich die Initiativgruppe, die erste Ideen konkretisiert und diese in der Kommune insgesamt vorstellt. Eine Gruppe kümmert sich natürlich um die Finanzen. Was kann die Wirtschaft beitragen? Was kann aus dem kommunalen Etat finanziert werden? Wer kann Spenden akquirieren? Sachleistungen des Handwerks werden über Sponsorenverträge ermöglicht. Wo können Zuschüsse beantragt werden? Es werden Menschen eingeladen, die etwas Ähnliches bereits woanders umgesetzt haben.

Vereinzelt können wir verwalten, gemeinsam können wir gestalten“, das würde auf meiner Einladung zum ersten Treffen stehen. Mit diesen Zeilen gehe ich jetzt zu meinem Bürgermeister. Vielleicht springt der Funke ja über. Wenn nicht, werde ich andere Menschen von der Idee des dritten Ortes begeistern.

 

Lesen Sie aus der Reihe „Wenn ich Bürgermeister*in wäre…“ auch:

Wie erwecke ich einen Ort zu neuem Leben?

 

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Dieser Artikel ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Foto: Victor Freitas/Pexels/Pexels license

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  • Anneke Richter wrote on 21.03.2019

    Ein sehr schöner Beitrag, der genau unsere Gedanken trägt. Wir sind gerade dabei solch einen dritten Ort zu gründen und gehen gerne in den Erfahrungsaustausch. Herzliche Grüße aus Ballenstedt von heimatBEWEGEN e.V. http://www.heimatbewegen.de

    • Joachim Sucker wrote on 21.03.2019

      Ihr könnt Eure Erfahrungen gerne auch als Gastbeitrag im Blog http://www.dritte-orte.de schreiben. Das wird viele andere auch interessieren. Eure Website finde ich sehr symphatisch!

  • wowo wrote on 29.04.2019

    Willkommen im Club der leider massiven Gesellschaftlichen Veränderungen, Leerstände und Abwanderungen Herrr Sucker.
    Die Stadt 56457 Westerburg passt ebenfalls ganz genau zu Ihren o. Schema.
    Ich denke, Wir beide sind nicht die Einzigen die den Finger hier in die Wunde legen und dringend dagegen etwas unternehmen möchten, bevor auch die restlichen Jugendlichen in die nächst größere Stadt abwandern.
    Hinweis: am 08. Mai 2019 ist der Dorfpapst mit einem Vortrag (Name ist mir entfallen) im Ratssaal Westerburg zu Gast, bin schon sehr gespannt, allein mir fehlt der Glaube an eine möglichst positive Veränderung.
    Bin Stadtrats Aspirant für die Kommunal Wahl am 26.Mai 19, mit diesem und dem Verkehrsthema werde ich mich vorrangig vor Ort engagieren.

    Mit freundlichen Grüßen
    wowo

  • wowo wrote on 10.08.2019

    Wenn ich Bürgermeister wäre……

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    digitale Medien halten einen immer größeren und schnelleren Einzug in den Alltag. Die Bevölkerung altert, viele junge Leute ziehen in die Städte.Schnelles Internet ist auch im Westerwaldkreis eine unverzichtbare Bedingung für den Lebensstandard.
    Bürger, Unternehmen und Kommunen sind auf funktionierendes WLAN angewiesen. Die Digitalisierung trage dazu bei, dass auf eine neue Art eine Dorfgemeinschaft entsteht. Deshalb sei es wichtig, die Bürgerinnen und Bürger fit zu machen für die digitalen Techniken: „Denn das alles lebt ja von den Leuten, die mitmachen.“

    Wenn sich in unserem ländlichen Raum genügend Interessenten finden und bei sich zu Hause einen Signal verstärkenden Freifunk-Router aufstellen, wird sich die Internet-Situation gravierend verbessern“, ist sich der Digital Botschafter des Landes RLP Wolfgang Wobido sicher.

    Denn Freifunk-Geräte vernetzen sich automatisch untereinander – Einmal Anschaffung eines Routers kostet zwischen
    20 – 50 Euro. Dies ermöglicht dann eine optimale WLAN-Versorgung großer Räume, wobei das eigene Netz sicher vom Freifunk-Netz abgeschirmt ist – auch die (frühere) Störerhaftung ist dank der Bundesregierung endgültig vom Tisch.

    Jedes aufgestellte Gerät hat einen bestimmten Sendebereich.
    Wenn sich in diesem Bereich ein weiteres Gerät befindet, verbindet es sich automatisch untereinander und kann so fast unbegrenzt fortgeführt werden. Auf diese Weise können größere Strecken auch ohne Internetanschluss mit Internet versorgt werden – je mehr Personen teilnehmen, desto besser. Mehr: https://www.freifunk-myk.de

    Noch Zukunftsmusik:
    So gibt es in der Nachbargemeinde Betzdorf die App „Dorffunk“, die schon 700 Bürgerinnen und Bürger nutzen.
    Dort bieten sie Nachbarschaftshilfe an, stellen Gesuche ein, plaudern im Chat miteinander und können einen Veranstaltungskalender nutzen. Auch ermöglicht die App den direkten Draht zum Rathaus. Ist etwa eine Straßenlaterne kaputt, können Nutzerinnen und Nutzer dies mitteilen. Die Mitarbeiter suchen den richtigen Ansprechpartner in der Verwaltung heraus, geben innerhalb kurzer Zeit Rückmeldung. Auf Sprechtage warten, muss so niemand mehr.Auch lokale Nachrichten der Internetseite „bg-aktuell“ fließen in den „Dorffunk“ ein. Hier kommt das Neueste aus dem Dorf schnell zu den Bürgerinnen und Bürgern – von Vereinen, öffentlichen Institutionen, Schulen. Das Besondere daran: Jeder kann mitschreiben. „Das Ziel ist, mein ‚Dorf in der Tasche‘ immer griffbereit zu haben“, sagt Wolfgang Wobido.
    Bitte mitmachen.

    Digitale Kompetenzen wichtiger denn je:
    https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/smart-country/projektnachrichten/digitale-kompetenzen-in-zukunft-wichtiger-denn-je/

    Senioren bauen Internet aus:
    https://www.mittelbayerische.de/themenwelten/familie-nachrichten/seniorenheime-bauen-internet-aus-24071-art1814853.html

    Sponsoren sind herzlich willkommen.

    Erster Treff voraussichtlich im Herbst in der Gaststätte Stadtgespräch 56457 Westerburg Neustrasse

    Mit freundlichen Grüßen
    Wolfgang Wobido

    Digital Botschafter des Landes Rheinland Pfalz
    und zukünftiger Senioren Sicherheits Berater
    Email: digibo.wowo@gmail.com