Der Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge will die Digitalisierung voranbringen.
Luftaufnahme von der Region Fichtelgebirge. Foto: Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge
Fabian Wahl
4. August 2020
Allgemein

Smartes Fichtelgebirge: Vom Weißen Gold zu digitalen Lösungen

Der Landkreis Wunsiedel in Oberfranken ist Umbrüche gewohnt. Einst waren in der Region am Fichtelgebirge weltweit bedeutende Porzellanindustrien beheimatet, vor etwa 20 Jahren erlebte die Branche einen Niedergang. Rund 12.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Seitdem setzt man auf die Metallindustrie, erneuerbare Energien, den Gesundheitstourismus – und zunehmend die Digitalisierung.

Seit dem Frühjahr ist der Landkreis Wunsiedel neben zwölf anderen Städten und Kooperationen eine Modellregion für die Digitalisierung. Das Bundesinnenministerium fördert die Initiative „Smart City“ in den nächsten sieben Jahren mit mehr als 15 Millionen Euro. „Wir sind in der Lage Ärmel zurück zu krempeln und Verantwortung zu übernehmen“, sagt Landrat Peter Berek, der im Mai dieses Jahres von den 73.000 Einwohnern des Kreises ins Amt gewählt worden ist.

Landrat Peter Berek nimmt an einem Experten-Workshop teil.

Landrat Peter Berek will die Region Wunsiedel mit digitalen Lösungen nach vorne bringen. Foto: Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge

Kreisentwicklungskonzept gibt Gesamtstrategie vor

Das Projekt „Smart City“ ist fest in das Kreisentwicklungskonzept integriert. In zwölf Handlungsfeldern sollen digitale Lösungen entwickelt werden, welche der Bevölkerung, der Verwaltung, der heimischen Wirtschaft und dem Tourismus einen Nutzen bringen. Dazu zählen unter anderem die Bereiche Mobilität, Gesundheit, Energie und Klimaschutz, Infrastruktur und Bildung.

Die erste Phase, eine Bürgerbefragung, ist abgeschlossen. Etwa 1.400 Menschen beteiligten sich daran, was Landrat Berek und die anderen Projektbeteiligten als einen ersten Erfolg verbuchen. Die Ergebnisse der Befragung hat Projektleiter Oliver Rauh gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen ausgewertet. „Wir wollten vor allem nachhören, wo genau der Schuh drückt und welche Bedürfnisse es gibt“, erklärt er. Die Bürgerbefragung habe ein grobes Bild vermittelt. Den größten Handlungsbedarf sahen die Einwohnerinnen und Einwohner demnach in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Bildung.

„Mobilität ist im ländlichen Raum das Thema schlechthin“, sagt Rauh. Die meisten ländlichen Regionen versuchten, hier Lösungen zu erarbeiten. In der Befragung wünschten sich die Teilnehmenden, dass die verschiedenen Verkehrsmittel besser aufeinander abgestimmt und bedarfsgerechte Angebote geschaffen werden. Rauh kann sich auch vorstellen, dass ein Bike-Sharing etabliert oder bessere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder geschaffen werden, weil häufig auf dem letzten Kilometer von der Bushaltestelle bis zur eigenen Wohnung die Verbindung abreißt.

Ausprobieren statt fertiger Lösungen

In der aktuellen Phase erarbeiten Experten-Workshops jeweils drei Prototypen pro Handlungsfeld. Über die letztendliche Umsetzung entscheidet wiederum die Bevölkerung. Änderungen sind im weiteren Projektverlauf jederzeit möglich. „Das Förderprojekt erlaubt es uns, Dinge auszuprobieren, die im ersten Moment nicht wirklichkeitsnah erscheinen“, sagt Berek. „Es ist nicht so, dass wir in einen Laden gehen und ein fertiges Produkt kaufen können.“ Stattdessen werde jede Anwendung gemeinsam mit dem Partner T-Systems selbst entwickelt.

Experten entwickeln erste Ideen für digitale Anwendungen.

In Experten-Workshops werden nun erste Ideen aus der Bürgerbefragung entwickelt. Foto: Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge.

Der Workshop zur Mobilität stellte bereits die Dringlichkeit einer eigenen App heraus, welche die verschiedenen Verkehrsmittel auf einer Plattform bündelt. Im Gesundheitsbereich steht die Frage im Raum, wie die alternde Gesellschaft möglichst lange im eigenen Zuhause wohnen bleiben kann und dabei mit digitalen Hilfsmitteln unterstützt wird. So soll die Teilhabe verbessert und Pflegeheime und Hausärzte entlastet werden. Gute Erfahrung hat man bereits mit der Telemedizin gesammelt.

Im Handlungsfeld Wirtschaft wird über die Einrichtung von Coworking-Spaces diskutiert. Der Landkreis könnte dafür mit Unternehmen aus München, Frankfurt oder Berlin kooperieren, so dass die Mitarbeitenden in der Region wohnen bleiben könnten. „Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie schnell Arbeiten im Homeoffice möglich ist“, erinnert Berek. „Mit den Coworking-Spaces möchten wir die Fachkräfte hier halten.“

Einzelhandel und Tourismus stärken

Weitere Ideen nennt der Leiter der Entwicklungsagentur Fichtelgebirge, Thomas Edelmann. Die 13 Schulen im Landkreis könnten digital alle gleich ausgestattet werden, was die Administration vereinfachen würde. Die Regionalvermarktung des Einzelhandels könne zudem ein eigenständiges Projekt werden. Und auch die Verweildauer der Touristen in der Mittelgebirgsregion soll länger werden, unter anderem durch die Schaffung von mehr Sichtbarkeit für die Angebote in der Region.

Wander- und Urlaubsregion Mittelgebirge

Das „Smarte Fichtelgebirge“ soll auch interessanter für Touristen werden. Foto: Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge

„Wir sind nur in Bereichen unterwegs, welche die Bürger betreffen und ihnen helfen“, betont Edelmann. Damit die digitalen Lösungen letztendlich auch angenommen werden, sei man ständig mit den Menschen in Kontakt. „Wir müssen unsere Arbeit stark kommunizieren, damit die Bürger mitgenommen werden und die Anwendungen später auch nutzen.“

Kreisräte arbeiten mit Tablets

Welche Ideen letztendlich weiterverfolgt werden, entscheidet sich im Herbst. Im kommenden Jahr sollen die ersten Ideen dann in digitale Lösungen münden. Eine simple Idee mit großer Wirkung wurde bereits umgesetzt. Die 50 Kreisräte in Wunsiedel haben inzwischen alle ein Tablet. Dadurch werden 13.000 Kopien pro Jahr eingespart.

„Wir haben die Digitalisierung als Querschnittsthema schon lange verfolgt, aber mit weniger Mitteln“, sagt Landrat Berek. Mit den Fördermitteln könne man das Thema jetzt schneller voranbringen. Er ist sich sicher: „Wenn sich ländliche Regionen nicht digital aufstellen, droht die Gefahr, dass sie irgendwann nicht mehr lebenswert sind und sich zurückentwickeln.“ Bis 2025 ist das Projekt angesetzt. In der Zeit sollen sich die einzelnen Modellregionen miteinander vernetzen, austauschen und voneinander lernen. Anschließend sollen die Anwendungen auch auf andere Landkreise und Regionen übertragbar sein.

 

Titelfoto: Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge.

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