Blick auf die Themse in London und viele Brücken. Im Vordergrund weht eine britische Flagge.
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Mario Wiedemann
17. July 2018

Innovation im öffentlichen Sektor: Großbritannien zeigt wie es geht

Am Fuße des Edinburgh Castle, dem Wahrzeichen der schottischen Hauptstadt, befindet sich der größte Tech-Inkubator des Vereinigten Königreichs: die CodeBase. Sie ist das Zuhause von über 100 Startups und etablierten Unternehmen aus dem Tech-Sektor, in einer Stadt, die für den Technologiesektor nach London als die bedeutendste Stadt im Vereinigten Königreich gilt. In diesem Umfeld liegt nicht unbedingt der Verdacht nahe, eine Institution der schottischen Regierung anzutreffen. Mit unverstelltem Blick auf das Edinburgh Castle befinden sich hier jedoch die Räumlichkeiten von CivTech Scotland.

Blick auf den Eingang der CodeBase. Schräg hinter der CodeBase ragt das Edinburgh Castle hervor.

Die CodeBase in Edinburgh. Foto: Mario Wiedemann/Bertelsmann Stiftung

Edinburgh ist die letzte Station einer dreitägigen Reise unseres Smart-Country-Teams nach Großbritannien. In der CodeBase treffen wir Alexander Holt. Er ist Gründer und Geschäftsführer von CivTech, einer Institution, die dem Digital Directorate der schottischen Regierung zugeordnet ist. Die Mission von CivTech: die digitale Transformation des öffentlichen Sektors in Schottland. Dabei steht digital gar nicht im Vordergrund sondern vielmehr die Art und Weise, wie öffentliche Institutionen die besten Lösungen und Anbieter für ihre Ausschreibungen finden. Alexander Holt stellt die Frage: „How do you procure what you don’t know exists?“ (aus TechCrunch). In der Regel schreiben öffentliche Institutionen mit sehr detaillierten Anforderungen aus, welche Lösung (bzw. welches Produkt) sie von einem Dienstleister benötigen. CivTech stellt dieses Vorgehen auf den Kopf. Öffentliche Institutionen beschreiben mit Hilfe von CivTech, welches Problem sie lösen wollen. Potenzielle Auftragnehmer pitchen ihre Ideen und werden anschließend von einer Jury ausgewählt. Der Weg dorthin führt über sogenannte Challenges. Kürzlich endete die Bewerbungsphase für die dritte Runde der Challenges. Doch was genau wird in diesen Challenges ausgeschrieben? Wer schreibt aus und wer bewirbt sich? Schauen wir uns ein Beispiel genauer an.

Das öffentliche Beschaffungswesen auf den Kopf gestellt

In der ersten Runde der Challenges, 2016, schrieb die schottische Umweltbehörde eine Challenge aus. Sie rief dazu auf, eine Lösung für ein flächendeckendes Netz an Frühwarnsystemen zu entwickeln, das vor Überflutungen warnt. Das bereits in einigen großen Städten eingesetzte System war zu kostspielig, um es im ganzen Land auszurollen. Ein Entwickler nahm die Herausforderung an und bewarb sich mit einem Sensor, der in einem Gehäuse aus 3-D-Druck eingefasst war und über LoRaWAN funkt. Diese Lösung war deutlich günstiger als die bisherige und mit Hilfe des Accelerator-Programms von CivTech wurde der Entwickler in die Lage versetzt, das Produkt marktreif zu entwickeln. Die schottische Umweltbehörde ist also einen für den öffentlichen Sektor ungewöhnlichen Weg gegangen:

  1. Wir haben folgende Herausforderung zu bewältigen.
  2. Wer kann uns dabei helfen?

Auch in der aktuell dritten Runde werden wieder innovative Lösungen gesucht. So bittet beispielsweise der National Health Service um Ideen, die das Wiederverwerten von medizinischen Produkten wie z.B. Krücken erlauben. An die 90 Prozent der Krücken werden einmal und nie wieder benutzt. Eine große Verschwendung.

Die Challenges von CivTech erlauben es Ministerien, nachgeordneten Behörden oder Städten und Gemeinden Lösungen und Ideen zu generieren, die ihnen zuvor nicht bekannt waren. Und der Erfolg von CivTech zeigt: diese Herangehensweise findet zunehmend Anklang im öffentlichen Sektor Schottlands. Diese Form der öffentlichen Beschaffung ist allerdings nicht neu. Auch wenn sie dank CivTech in Schottland besonders gut funktioniert.

Viele nützliche Open-Data-Anwendungen dank der Challenges

Das Open Data Institute (ODI) in London hat gemeinsam mit der Digitalisierungs-Agentur der britischen Regierung, Nesta, bereits 2013 eine Open Data Challenge Series durchgeführt (und in einem Handbuch dokumentiert). Die Challenge Series war eines der Themen, die uns bei unserem Besuch im ODI in London, im Rahmen unserer dreitägigen Großbritannien-Reise, besonders interessiert haben.

Empfangstresen im eingangsbereich. Darauf steht: Data that anyone can access, use and share.

Open Data Institute in London. Foto: Mario Wiedemann/Bertelsmann Stiftung

Das Open Data Institute hat eine für deutsche Verhältnisse beeindruckende Bandbreite an Themen und Projekten, die sich mit offenen Daten und ihrem Wert für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beschäftigen. Bereits vor fünf Jahren, als das Thema Open Data in Deutschland erst langsam an Fahrt aufnahm, riefen das ODI und Nesta die Open Data Challenge Series aus. In sieben verschiedenen Bereichen wie Justiz, Bildung oder Kultur wurden Challenges ausgeschrieben, die innovative Lösungen auf Basis von offenen Daten generieren sollten. Dabei kam beispielsweise eine App namens Check That Bike! heraus. Interessenten für Fahrräder aus zweiter Hand können hier mit der Angabe einer Rahmennummer prüfen, ob das Fahrrad als gestohlen gemeldet wurde. Als Basis für diese Anwendung dienen u.a. offene Daten der Polizei über gestohlen gemeldete Fahrräder. Positiver Nebeneffekt: mit einer derartigen Transparenz über gestohlene Fahrräder dürfte auch der Anreiz sinken, Handel mit gestohlenen Rädern zu betreiben.

Innovation im öffentlichen Sektor: Können wir das auch?

Großbritannien gilt als eine der Vorreiternationen im Bereich Open Data. Diesen Eindruck können wir nach drei Tagen in verschiedenen Städten Englands und Schottlands bestätigen. Doch nicht nur hinsichtlich der Transparenz des öffentlichen Sektors, der u.a. durch offene Daten erzielt wird, scheint Großbritannien uns noch voraus zu sein. Die Erfahrungen mit Challenges zeigen auch: die größte Kompetenz zur Lösung eines Problems befindet sich meistens nicht inner- sondern außerhalb einer Organisation. Der öffentliche Sektor in Großbritannien hat mit den Challenges eine Möglichkeit aufgezeigt, Innovation in den öffentlichen Sektor hineinzuholen. Können wir das auch hierzulande?

 

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Titelfoto: Dylan Nolte/unsplash.com
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