Zieht das Leben auf dem Land immer mehr Menschen an? Diesen Eindruck legen viele Berichte im Netz, in Zeitungen oder im TV nahe. Es gibt Formate wie das sehr erfolgreiche Magazin „Landlust“ und auch auf anderen Kanälen erfahren wir mehr über die Vorzüge des Landlebens. Stadtflucht statt Landflucht?
Das ZDF hat im Mai 2018 in einer großen Umfrage herausgefunden:
- 44 Prozent der Deutschen wünschen sich ein Leben auf dem Land
- 39 Prozent möchten in einer kleineren Stadt leben
- Nur 16 Prozent bevorzugen das Leben in einer Großstadt
Und doch belegen die Bevölkerungszahlen eine solche Rückbesinnung aufs Land nicht. In einer Analyse der Wanderungsbewegungen hierzulande (also von wo ziehen Menschen weg, wo zieht es sie hin) hat unser Team vom Wegweiser Kommune festgestellt: von einem nennenswerten Zuzug im ländlichen Raum kann insgesamt noch nicht die Rede sein. Aber: mittlerweile verlieren die zehn größten Städte zunehmend Einwohner an die umliegenden Klein- und Mittelstädte.
Ein Leben auf dem Land dank digitaler Arbeit?
Das Leben in den großen Städten bringt heute einige Nachteile mit sich: enorm gestiegene Mieten und eine hohe Luft- und Lärmbelastung sind nur drei Beispiele. Insbesondere Familien stellen sich daher die Frage, wo sie ihren künftigen Lebensmittelpunkt sehen. In der Großstadt, in der Kleinstadt oder gar auf dem Land?
Der Faktor Arbeit könnte in Zukunft eine Entscheidung für das Leben auf dem Land begünstigen. Bisher waren wir es gewohnt, dass der Mensch zur Arbeit kommt. Die hohen Pendlerzahlen in Deutschland sind sichtbares Zeichen dafür. Die Distanz vom Wohn- zum Arbeitsort durfte daher nicht zu groß sein. Heute kommt die (digitale) Arbeit zu den Menschen. Auf dem Land könnten sich also Leben und Arbeit kombinieren lassen – vorausgesetzt die (digitale) Infrastruktur stimmt. In einem Video über das digitale Werratal haben wir diese Option veranschaulicht.
Kongress „Faszination 4.0: ARBEIT“
Auf dem Kongress „Faszination 4.0: ARBEIT“ am 3. September 2018 haben Smart Country und Zukunft der Arbeit dieses Thema im Forum „Wo andere Urlaub machen – Arbeiten im ländlichen Raum“ vertieft. Dabei zeigte sich, dass Coworking, das wir bisher aus großen Städten kennen, auch im ländlichen Raum großes Potenzial besitzt.
Tobias Kremkau, Head of Coworking des Berliner Coworking-Pioniers St. Oberholz, ist der Ansicht: „Die gesellschaftliche Bedeutung von Coworking wird sich auf dem Land beweisen.“ Er hat sich für eine Studie des Projekts Zukunft der Arbeit auf die Suche nach den neuen Orten der Arbeit gemacht. Und er ist in vielen ländlichen Regionen im In- und Ausland fündig geworden.
Es gibt tatsächlich zunehmend Beispiele für Coworking Spaces im ländlichen Raum, z.B. in Brandenburg. Im hohen Norden in Kiel startete diesen Sommer das auf drei Jahre angelegte Projekt CoWorkLand. Der Referent Ulrich Bähr von der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein präsentierte die Idee hinter dem Projekt. Ein früherer See-Container wurde zu einem mobilen und modernen Coworking Space umgebaut. Dieser soll an neun verschiedenen, ländlichen Standorten für mehrere Wochen platziert werden. Damit soll das Potenzial für Coworking im ländlichen Raum erkundet werden. Ein weiteres Projektziel ist außerdem, die Gründung neuer Coworking Spaces in der Region rund um Kiel anzuregen.
Coworking Spaces als Initialzündung
Doch warum sind Coworking Spaces eigentlich von Vorteil? Was bieten sie, was wir im Home Office nicht vorfinden? Nach Tobias Kremkau eröffnen sich Coworkern durch die Interaktion mit Menschen, die nicht im gleichen Betrieb oder in der gleichen Branche tätig sind, neue Perspektiven. Aus diesem Austausch entsteht kreatives Potenzial, das auch im ländlichen Raum benötigt wird. Manch eine Region muss sich neu erfinden oder zumindest neue Wege gehen, um wieder attraktiv zu werden. Da könnten Coworking Spaces ein Anfang sein.
Die Stadt Frankfurt/Oder und die Sparda-Bank Berlin zeigen, dass Coworking Spaces eine Initialzündung sein können. In der brandenburgischen Stadt eröffnet demnächst ein Coworking Space, den die Berliner Bank gemeinsam mit dem Berliner St.Oberholz betreibt. Das Spannende an dem Konzept, das Antonia Polkehn von der Sparda-Bank Berlin in unserem Forum vorgestellt hat: der Filialbetrieb der Bank und der Coworking-Bereich lassen sich gar nicht mehr trennen. Die Bank ist somit integraler Bestandteil des Coworking-Konzepts. Dies könnte auch eine Lösung für Banken im ländlichen Raum sein, die ihre Filialen schließen wollen. Sie könnten sich stattdessen am Modell aus Frankfurt/Oder orientieren: statt Filialschließungen neue Treffpunkte, die unter einem Dach viele Dienstleistungen vereinen.
Dieser Artikel ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Kommentar schreiben