Die Chancen gesellschaftlicher Teilhabe durch digitale Technologien sind für viele Menschen in der Corona-Pandemie greifbar geworden.
Sprunghaft ist die Nutzung von Videokonferenz-Diensten für die Kommunikation mit Kolleg:innen, Freund:innen und Familie gestiegen, Einkäufe werden verstärkt online getätigt. Doch wie digital souverän sind ältere Menschen in Deutschland? Die Studie präsentiert Ergebnisse einer im Mai 2019 von uns in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung und untersucht dabei verschiedene Aspekte digitaler Souveränität im Altersvergleich. Eine Folgebefragung ist für das Frühjahr 2021 geplant.
Damit digitale Technologien zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen, müssen sie von den Nutzer:innen angenommen und digitale Kompetenzen erlernt werden. In den Empfehlungen des Achten Altersberichts der Bundesregierung wird deshalb neben der stärkeren Einbindung älterer Menschen in die Gestaltung der Digitalisierung ebenfalls eine Stärkung ihrer digitalen Souveränität gefordert, worunter die „selbstbestimmte, informierte, sichere und verantwortungsvolle Aneignung und Nutzung digitaler Technologien“ verstanden wird.
Digitale Gräben verhindern gesellschaftliche Teilhabe
In unserer digitalen Gesellschaft sind die Chancen auf ein aktives selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe – sozial und digital – nicht gleichmäßig verteilt. In Deutschland nutzten im Jahr 2019/20 rund neun von zehn Bürger:innen das Internet, doch stieg unter diesen Nutzer:innen die Gruppe älterer Personen mit einem niedrigen Bildungsabschluss zuletzt kaum, stellt die Initiative D21 in ihrem jährlichen Digital-Index fest. Dabei können Ältere in vielerlei Hinsicht von digitalen Technologien profitieren, sei es durch die Nutzung von Gesundheitstechnologien oder Kontakthalten mit Freund:innen und Verwandten über digitale Kommunikationstechnologien wie E-Mail oder Messenger-Dienste.
Digitale Gräben zu schließen und den digitalen Wandel aktiv zu gestalten erfordert von den Nutzer:innen neben einem Internetzugang auch eine umfassende Orientierungs- und Gestaltungskompetenz, um aktuelle Entwicklungen einordnen und das eigene Handeln reflektieren zu können. Unter dem Begriff „digitale Souveränität“ verstehen wir deshalb all die digitalen Kompetenzen, die für ein selbstbestimmtes Leben im Alter notwendig sind. Die vorliegende Befragung schließt dabei an die von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie „Digital souverän? Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter“ an.
Wie steht es um die digitalen Kompetenzen älterer Menschen?
Die Ergebnisse der Befragung machen deutlich, dass in Bezug auf digitale Kompetenzen großer Handlungs- und Nachholbedarf besteht. Nur 16 Prozent aller Befragten schätzen ihre eigenen Kenntnisse als „sehr gut“ ein, 48 Prozent als „gut“ und 34 Prozent als „eher schlecht“ bis „sehr schlecht“. Bei der Einschätzung der eigenen Kenntnisse im Bereich digitaler Technologien zeigt sich der Einfluss des Faktors Bildung auf digitale Kompetenzen. Denn die Kenntnisse im Umgang mit der Technik sind bei Befragten mit mittlerem und höherem Bildungsabschluss im Schnitt um rund ein Drittel (64 zu 34 Prozent) höher als bei Befragten mit Volks- oder Hauptschulabschluss. Schüler:innen schätzen ihre Kenntnisse mit 86 Prozent am höchsten ein.
Im Umgang mit digitalen Technologien fühlen sich die über 65-Jährigen im Vergleich zu den anderen Altersgruppen besonders unsicher. Zwar schwankt dieser Wert innerhalb dieser Altersgruppe stark, was auf die unterschiedliche Verteilung von persönlichen Fähigkeiten hindeutet, die Sicherheit im Umgang mit digitalen Endgeräten sinkt im Durchschnitt jedoch um etwa ein Fünftel, sobald ein Volks- oder Hauptschulabschluss vorliegt.
Ebenso wichtig wie die Frage nach den eigenen Kenntnissen und der Sicherheit im Umgang mit den gängigen digitalen Technologien ist die Verfügbarkeit von Ansprechpartner:innen, wenn Fragen zur Nutzung, zu den Einstellungen oder Änderungswünschen aufkommen. Der überwiegende Anteil der Befragten lebt in Ein- bis Zwei- Personen-Haushalten (68 Prozent), das heißt alleine oder mit einer weiteren Person. Etwa zehn Prozent der Befragten lösen Fragen zum Digitalen selbstständig, rund die Hälfte kann bei Bedarf auf Ansprechpartner:innen aus privaten Kontakten zurückgreifen oder Fragen mittels einer Recherche im Internet bzw. über Angebote einer Einrichtung oder Institution klären.
Doch rund fünf Prozent bleiben ohne Rat und wenden sich auch nicht an Dritte. Befragte, die ihre eigenen Kenntnisse zu digitalen Technologien als sehr gut einschätzen, suchen eher selbstständig nach Lösungen im Internet, Befragte mit eher schlechten Kenntnissen wenden sich deutlich häufiger an Freunde, Bekannte und Familienmitglieder. Wer sich im Umgang mit dem Internet und technischen Geräten sehr sicher fühlt, der sucht ebenfalls eher selbst online nach Lösungen. Auch das Alter hat Einfluss auf die Nutzung bestimmter Hilfsangebote. So suchen etwa jüngere Nutzer:innen stärker selbst im Internet nach Lösungen, ältere wenden sich bei Fragen eher an Freunde und Bekannte.
Steigende Relevanz digitaler Technologien
Themenübergreifend geht der Durchschnitt der Befragten von einem klaren Bedeutungszuwachs digitaler Technologien aus. Für die heutige Nutzung ist dabei die Informationsbeschaffung im Internet ausschlaggebend und auch mit Blick auf die Zukunft ist dies für die Befragten der wichtigste Anwendungsbereich. Ein Blick in die Zukunft zeigt: Den größten Bedeutungszuwachs sehen die Befragten bei der Nutzung digitaler Technologien im Rahmen behördlicher Angebote und in der Gesundheitsvorsorge.
Souveränität im Umgang mit digitalen Technologien wird für ein selbstbestimmtes Leben im Alter zunehmend wichtiger. Die Ergebnisse der vorliegenden Befragung zeigen, dass bei den befragten älteren Nutzer:innen Interesse für zukunftsweisende Technologien vorhanden ist. Damit alle Generationen die Vorteile der Digitalisierung nutzen und diese aktiv mitgestalten können, muss die digitale Souveränität älterer Menschen weiter gestärkt werden. Denn im direkten Vergleich zu Jüngeren haben Ältere insgesamt einen größeren Bedarf bei der Aneignung digitaler Kompetenzen. Hindernisse und digitale Gräben beim Zugang zu digitalen Technologien wie dem Internet sollten deshalb weiter reduziert und mehr niedrigschwellige Bildungsangebote zur Stärkung der digitalen Souveränität offeriert werden.
Digitale Souveränität muss individuelle Befähigungen, gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und digitale Technologien verbinden. Die Ausrichtung an den Anforderungen älterer Menschen und deren Einbindung in Entwicklungsprozesse ist hierfür ein essenzieller Schritt, denn er ist die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen bei zukünftigen Nutzer:innen und somit ein möglicher Garant der langfristigen Akzeptanz digitaler Technologien in einer altersgerechten Gesellschaft insgesamt. Damit Maßnahmen langfristig erfolgreich sein können, müssen verlässliche Daten zum Stand digitaler Kompetenzen in der Bevölkerung vorliegen. Diese Studie stellt erste Ergebnisse und Daten bereit, die im Frühjahr 2021 durch eine Folgebefragungen aktualisiert und erweitert werden sollen.
Offene Daten
Die in der Publikation dargestellten Zahlen sind eine bewusste und limitierte Auswahl an Ergebnissen, die im Zuge der Auswertung als besonders relevant befunden wurden. Um gezielt einer Unterauswertung der vorliegenden Daten entgegenzuwirken und unserem eigenen Anspruch als gemeinnützige Organisation gerecht zu werden, stehen die gesamten Umfrageergebnisse als Open Data zur Verfügung. Die Bertelsmann Stiftung möchte hierdurch andere Forscher:innen dazu befähigen, die Daten für eigene Fragenstellungen (bspw. für Bachelor-, Master-, Doktorarbeiten oder sonstige Forschungsprojekte) zu verwerten.
Die offenen Daten finden Sie zum Download in unserer Projektnachricht.
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Bedeutsame Daten und relevantes Thema. Danke für die Daten.
Und auch die Maßnahmen, die aus der Studie ableitet werden, sind nachvollziehbar. Es braucht weitere Räume, in denen ältere Menschen innovative Technologien kennenlernen, erleben und erfahren können, in denen sie Ansprechpartner finden, die ihnen bei Fragen helfen. Gut umgesetzt ist das beispielsweise mit dem Konzept der Digitalen Knotenpunkte in Schleswig-Holstein.
Aber, und hier sehe ich noch großen Bedarf: Es braucht auch Konzepte („Lehrpläne“) für Seminare & Workshops, die geeignet sind, digitale Kompetenzen in dieser Zielgruppe aufzubauen. So eine Art „Lehr- und Lernplan“. Und zwar ein Lehr- und Lernplan, der von Expert*innen *gemeinsam* mit älteren Menschen entwickelt wurde, und der auch die unterschiedlichen Segmente in dieser heterogene Zielgruppe berücksichtigt. Der auch berücksichtigt, wie ältere Menschen am besten dazulernen können.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es derartiges bald gibt (und bin natürlich für Hinweise dankbar, die auf selbiges verweisen, sollte es das schon geben).