Ein Paar sitzt auf einer Bank und schaut auf einen See.
Foto: Pixabay/adamkontor
Frank Luschei
Dr. Frank Luschei
13. January 2021

Gemeinden auf dem Land: Die eigene Attraktivität messen und steigern

Städte und Gemeinden wollen für ihre Bürgerinnen und Bürger möglichst attraktiv sein. Eine attraktive Stadt zieht Menschen an bzw. bindet sie an ihren Wohnort. So lautet eine plausible Annahme. Aber was macht eine Stadt attraktiv? Was ist dafür wichtig und wie viele Attraktivitätspunkte vergeben die Einwohnerinnen und Einwohner ihrer eigenen Stadt? Wie lässt sich das Ergebnis einer Attraktivitätsmessung auch konkret für die Entwicklung von Kommunen nutzen?

Eine attraktive Gemeinde werden

Der demografische Wandel betrifft die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen in höchst unterschiedlicher Weise. Während die einen weiter wachsen, schrumpfen andere und drohen zu vergreisen. Allerdings sind kleinere Städte und Gemeinden keineswegs systematisch benachteiligt. Es ist keineswegs so, dass alle aus den kleinen in die großen Städte ziehen. Die sogenannte Landflucht ist ein Mythos. Das belegen die Analysen der entsprechenden Wanderungsdaten.

Wie lassen sich die großen Unterschiede erklären und vor allem: Was kann eine Kommune gegen Abwanderung tun? Wie kann eine Kommune gegensteuern oder “Pluspunkte sammeln”? Eine Möglichkeit bestünde darin, die Attraktivität der Stadt/Gemeinde zu erhöhen, um die Zahl der Zuzüge und Fortzüge positiv zu beeinflussen.

Indikatoren für einen attraktiven Wohnort

Nach umfangreichen Vorarbeiten wurde im Projekt “Attraktivität von Städten und Gemeinden” an der Universität Siegen in Kooperation mit elf kleineren Städten und Gemeinden in NRW ein Online-Fragebogen entwickelt. Zunächst ging es darum, Merkmale herauszuarbeiten, mit denen sich die Attraktivität einer Stadt konkret beschreiben lässt. Hierzu gehören beispielsweise “ein breites kulturelles Angebot (z.B. Konzerte, Kino, Theaterveranstaltungen, …) in der Stadt / Gemeinde”, “ein gut ausgebautes Telekommunikationsnetz (z.B. Internet / Breitbandausbau, Handynetze, Telefon, …)”, “ein gut ausgebautes Gesundheitssystem (z.B. Ärzte, Apotheken, Krankenhaus, …)”, “gute Einkaufsmöglichkeiten”, “viele Arbeitsplätze”, “dass die Menschen in der Stadt/Gemeinde freundlich und aufgeschlossen sind”.

Insgesamt wurden mit den Kooperationspartnern 30 Merkmale zusammengestellt. Die Befragungsteilnehmer:innen sollten diese zweimal auf einer 11-stufigen Skala einschätzen – und zwar gleich doppelt: Erstens sollten sie entscheiden, wie wichtig ihnen das jeweilige Merkmal für die Attraktivität einer Stadt ist. Zum zweiten sollten sie angeben, wie hoch sie ihre Stadt in Bezug auf die Attraktivitätsmerkmale bewerten. Darüber hinaus wurden eine Reihe zusätzlicher Fragen gestellt, wie z.B. nach den Gründen für den Umzug an den jetzigen Wohnort und weitere soziodemografischen Daten. Für die Auswertungen fanden die Angaben von insgesamt rund 3.600 Bürgerinnen und Bürgern Berücksichtigung.

Gesundheitssystem ist wichtiger als Radwege

Die Ergebnisse zeigen, dass man zwischen extrem wichtigen und nicht ganz so wichtigen Attraktivitätsmerkmalen unterscheiden und diese in eine Rangfolge bringen kann. So erwiesen sich das “gut ausgebaute Telekommunikationsnetz” und ein “gut ausgebautes Gesundheitssystem” als die wichtigsten Attraktivitätsmerkmale. Am wenigsten wichtig waren “Radwege” sowie “ein reges Nachtleben”. In gewisser Weise formulieren die Befragten damit ihre Anforderungen bzw. Wünsche an ihre Stadt oder Gemeinde.

Die meisten Attraktivitätspunkte erhielten die Städte und Gemeinden im Merkmal “Naturerlebnisse in der Nähe”. Dies ist offensichtlich der große Pluspunkt der 11 kleineren und vorwiegend ländlich gelegenen Städte und Gemeinden. Danach folgten “in ruhiger Wohngegend wohnen” und “Kontakte zur Familie, zu Freunden und Gleichgesinnten”. Hier scheint sich das Bild vom typischen Landleben zu bestätigen. Die wenigsten Attraktivitätspunkte vergaben die Befragten bezüglich “breites kulturelles Angebot”, “gut ausgebauter ÖPNV” und “reges Nachtleben”. Das fehlende “rege Nachtleben” erwies sich jedoch als unproblematisch: Immerhin wurde es von den Befragten auch als nicht wichtig eingestuft.

Marktplatz einer deutschen Kleinstadt. Hinter dem Kirchturm ist die Silhouette der Sonne.

Städte und Gemeinden müssen ihren Einwohner:innen gewisse Punkte bieten, um diese zu halten und neue Menschen anzuziehen.

Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Wenn man die Ergebnisprofile beider Messungen übereinanderlegt, werden sie besonders aussagekräftig: Der Unterschied zwischen den Wünschen (=Wichtigkeit) und der Wirklichkeit (=Attraktivitätspunkte) kann im Sinne eines Interventionsindikators gedeutet werden. Eine besonders große Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in wichtigen Merkmalen ist anders zu bewerten als ein großer Unterschied in einem vergleichsweise unwichtigen Merkmal. An ihr wird deutlich, wo die Stellschrauben für mehr Attraktivität zu finden sind.

Dies wird am Merkmal “gut ausgebautes Telekommunikationsnetz” deutlich. Einerseits war es das wichtigste Merkmal (8,8 Wichtigkeitspunkte), andererseits erhielt es deutlich weniger Attraktivitätspunkte (5,1). Die Differenz beträgt hier 3,7 (“Interventions-“)Punkte. Hier gibt es also ein Attraktivitätsmerkmal, an dem die Stadt / Gemeinde mit Verbesserungen ihre Position im Vergleich zu anderen deutlich verbessern kann.

Am zweitwichtigsten war das gut ausgebaute Gesundheitssystem, das von den Befragten mit rund sechs Attraktivitätspunkten beschieden wurde. Auch hier ist ein hoher Interventionsbedarf erkennbar. Gänzlich anders war es bei den “Naturerlebnissen in der Nähe”. Dieses war eines der wichtigsten Merkmale, das gleichzeitig aber auch fast ebenso viele Attraktivitätspunkte erhielt. Wunsch und Wirklichkeit liegen nah beieinander. Damit ist der Interventionsbedarf gering.

Einen großen Interventionsbedarf gab es offensichtlich bezüglich des “kulturellen Angebots” in den teilnehmenden ländlichen Kommunen. Hier gingen Wunsch und Wirklichkeit deutlich auseinander. Allerdings waren viele Merkmale deutlich wichtiger als das kulturelle Angebot. Bei den begrenzten Ressourcen der meisten kleinen Kommunen sollte man sich vor Ort also überlegen, ob man nicht zielgerichteter an wichtigeren Merkmalen ansetzt. Vielleicht lassen sich ja auch Angebote in einer nahe gelegenen Nachbarstadt mit nutzen?

In der folgenden Abbildung sind die Ergebnisse aller 30 Attraktivitätsmerkmale aufgeführt. Die Abbildung ist nach Wichtigkeit absteigend sortiert, so dass die wichtigen Merkmale oben stehen und die weniger wichtigen weiter unten.

Attraktivität von Gemeinden

Die Universität Siegen hat einen Kriterienkatalog aufgestellt, der die Attraktivität einer Stadt oder Gemeinde messen soll. Quelle: Universität Siegen.

Personengruppen haben unterschiedliche Wünsche

Die Anforderungen (= Wichtigkeit) der Bürgerinnen und Bürgern an ihren Wohnort unterscheiden sich zwischen den Städten und Gemeinden. So wurde beispielsweise eine “gute Autobahnanbindung” in autobahnnahen Städten und Gemeinden offensichtlich als deutlich wichtiger bewertet, als in autobahnfernen Wohnorten. Deutlich größer waren die Unterschiede jedoch zwischen Personen-Subgruppen: Bei jungen Familien haben die Merkmale “kinderfreundlich aufgestellte Stadt” und “die Kinderfreundlichkeit der Menschen” die höchste Priorität. In beiden Merkmalen sahen diese auch deutlichen Interventionsbedarf. Bei anderen Personengruppen (z.B. Junge vs. Ältere, “Fortzugsgefährdete” vs. “Lokal-Überzeugte”) gab es andere Prioritätssetzungen und damit andere Interventionswünsche. Dies zeigt, dass man bei begrenzten Ressourcen nicht allen Wünschen und Erwartungen gleichzeitig gerecht werden kann . Insofern muss man- z.B. im Rahmen von Bürgerbeteiligungsprozessen – Prioritäten diskutieren und setzen.

Bürger an der Gestaltung beteiligen

Aus den Befragungsergebnissen lassen sich Stärken- und Schwächenprofile für Städte und Gemeinden erstellen. Der generierte Interventionsindikator liefert wichtige Hinweise auf wirksame Interventionsmaßnahmen zur Stärkung der Attraktivität der Stadt. Die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen im Sinne einer tatsächlichen Attraktivitätssteigerung ist durch Wiederholungsbefragungen ebenfalls messbar. Damit lässt sich der Fragebogen auch als Evaluationsinstrument nutzen.
Jetzt ist es an den Kommunen, diese Erkenntnisse auch praktisch umzusetzen. Es liegt eine große Chance darin, mit dem Instrument einer Online-Befragung die Attraktivität der eigenen Gemeinde zu verbessern. Dies stärkt die Bürgerbeteiligung.

Hierbei handelt es sich um eine Win-win-Situation: Die Bürgerinnen und Bürger wohnen anschließend in einer attraktiveren Stadt, die Anzahl der Fortzugs-Gefährdeten sollte sinken und potenzielle Zuzügler entscheiden sich vermutlich eher für eine aktive und attraktive Kommune. Dies alles kann Wanderungssalden spürbar positiv beeinflussen.

Doch selbst wenn die Verbesserungen in demografischen Daten hinter den gestellten Erwartungen zurückbleiben – am Ende des Tages ist das Wohnen und Leben in einer attraktiveren Kommune für alle Bürgerinnen und Bürger ein Gewinn.


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Titelfoto: Pixabay/adamkontor

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