In Zeiten der Corona-Krise ist die Zukunft für viele Akteur*innen ungewiss – auch und vor allem für Kleinunternehmer*innen, die ihr Geld in Gastronomie und Tourismus verdienen. Doch es gibt Orte, die die Zukunft sozusagen im Namen tragen: „Zukunftsorte“ nennen sich die Impulsorte für gemeinschaftliche Wohn- und Arbeitsprojekte in Brandenburg, die sich im gleichnamigen Netzwerk für Wissenstransfer und gegenseitige Unterstützung versammeln.
Fortschritt trotz Corona-Krise
Es sind kleine und große Orte, Projekte die von zwei bis knapp 100 Akteuren durchgeführt werden. Sie setzen sich mit viel Herzblut und digitaler Arbeitskultur dafür ein, Angebote für Wohnen, Arbeiten und Austausch vor Ort zu schaffen und damit ihre Umgebung zusätzlich zu bereichern. Darunter gibt es etliche, die mit ihren Gästezimmern und Seminarräumen, ihren Begegnungsorten und Gemeinschaftsangeboten wegen der Corona-Krise deutlich ausgebremst sind. Dass den meisten von ihnen die Krise bisher noch nicht viel anhaben konnte und sich auch jetzt einiges bei ihnen bewegt, zeigen diese beiden Beispiele.
Projektraum Drahnsdorf: Visionäres Refugium auf dem Land
Unser Projektraum Drahnsdorf ist eine Bildungs- und Begegnungsstätte mit Übernachtungsmöglichkeit und Begleitung von Visions- und Kreativprozessen. Zudem vermieten wir unsere Räumlichkeiten für Workshops und als Angebot an Dritte für Meetings und Tagungen, sogenannte Offsites.
Das letzte Jahr vor der Pandemie war voller Veranstaltungen und Anfragen für unseren Projektraum gab es mehr als genug. Nun ist das Haus für den regulären Gästebetrieb geschlossen. Trotzdem ist der Ort voller Leben. “Workawayer”(Menschen aus aller Welt, die für Unterkunft und Verpflegung in den Betrieb hineinschnuppern und mithelfen), welche schon vor Beginn der Corona-Krise zu uns dazu gestoßen sind, bleiben – denn sie kommen nicht nach Hause. Weitere Stadtflüchtige haben den Weg zu uns gefunden, oft nachdem sie erst in Quarantäne waren. Nun sind wir eine große häusliche Gemeinschaft und bringen Haus und Garten in einigen großen und vielen kleinen Projekten voran.
Online-Lernen statt Pendelei nach Berlin
Das gilt auch für unsere konzeptionelle Arbeit. Aus unserer Sicht bietet der ländliche Raum das Potenzial für das moderne, nachhaltige und naturverbundene Leben von morgen. Gerade durch die Krise zeigt sich, wie viel weniger anfällig regionales Wirtschaften ist – denn man ist nicht abhängig von internationalen Warenströmen, sondern produziert vor Ort. Deswegen wollen wir in Drahnsdorf ein Kreislaufsystem etablieren. Den Beginn macht ein Konzept zur Energieautonomie des Dorfes, erstellt durch einen Masterstudenten der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Seine Arbeit ist fast fertig und wir warten gespannt auf die Ergebnisse. Gleichzeitig findet auch von hier aus die Arbeit im Homeoffice statt (nämlich Hochschulunterricht). Pendeln nach Berlin ist nicht mehr nötig und es funktioniert gut.
Das zeigt, dass Online-Lernen im Wechsel mit intensiven Workshops an inspirierenden Orten, auch „On-Sites genannt, nach der Krise als gute Alternative etabliert werden könnte. Unsere These: Wenn man sich persönlich trifft, dann sollte das nicht im neutralen Arbeitsraum, sondern in einem intensiven Erlebnisraum stattfinden. So kann der ländliche Raum zum analogen Erlebnis werden und ist durch die digitalen Möglichkeiten global verbunden. Die Vorteile aus beiden Welten, dem Analogen und Virtuellen ergänzen sich perfekt.
Inspiriert durch unseren Zukunftsort-Kollegen Coconat, welches als Coworking-Hotel nun erfolgreich „Community and Quarantine in Nature“ als neues Coliving-Konzept anbietet, entwickeln auch wir für die nächsten Monate neue Formate. Beispielsweise könnten die vielen Menschen im Homeoffice bei uns das Landleben testen. Kommen wir zusammen auf dem Land in großer häuslicher Gemeinschaft (natürlich den Hygiene- und Abstandsregeln entsprechend) und nutzen die Zeit für ganz neue Formen des Zusammenlebens, Zusammenarbeitens und Ideenschmiedens!
Hof Prädikow: Aus Homeoffice wird Hofoffice
Hof Prädikow ist noch nicht in Betrieb. Noch wohnen keine der 50 Erwachsenen und 25 Kinder in einem der 15 Gebäude des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebs. Der hofeigene Coworking-Space ist noch nicht eröffnet und nur zwei der vielen geplanten Gewerbe haben bisher vor Ort ihren Betrieb aufgenommen. Dennoch bewegt sich viel – selbst zu Corona-Zeiten.
Gerade jetzt wird der Hof von vielen künftige BewohnerInnen besucht, die mit und ohne Kinder die Freiheit und Natur auf 9 ha Land genießen – hier bereitet der geforderte Mindestabstand jedenfalls keine Probleme. Vor Ort werden emsig Beete angelegt, Bäume gepflanzt, Zebu-Kühe von Weide zu Weide getrieben und das Homeoffice dank vorhandenen WLAN-Zugangs zum Hof-Office gemacht.
Derweil geht es in der Planung des Projekts wichtige Schritte voran: So kann in Kürze mit der Sanierung des ersten Wohnhauses und dem Ausbau der „Dorfscheune“, unserer Gemeinschafts- und Gewerbe-Keimzelle (inklusive Coworking- und Seminarbetrieb sowie Raum zum Treffen und kreativ sein mit dem Dorf), begonnen werden.
350 Neubewerber*innen via Zoom-Meetings
Auch das Informieren und Auswählen von Neubewerbern für die Hofgruppe geht gut voran. Was uns mit Blick auf die Kontaktbeschränkungen und die große Menge an Interessenten zunächst Sorge bereitete, funktioniert dank der digital und kommunikativ versierten Projektmitglieder sehr gut: Es war schon eine Herausforderung, 350 potenzielle Neubewerber*innen via Zoom-Meetings und YouTube Screenings über unser komplexes Hof Projekt mit seinen Wohn- und Gewerbemöglichkeiten zu informieren.
Doch unsere thematisch sortierten Online-Meetings werden rege genutzt – egal ob von Familien, Singles, Senioren oder Gewerbeinteressierten – das Format stellt sich als akzeptable Alternative heraus. So haben wir die Qual der Wahl zwischen vielen interessanten und engagierten Menschen, die sich gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten auf dem Land wünschen. Inwieweit die Corona-Situation zu dieser Masse an Interessenten beigetragen hat, können wir nur mutmaßen.
Parallel tut sich auch einiges im Dorf Prädikow: im Kreativ-Club unserer Dorfscheunen-Initiative ist eine Nähgemeinschaft für Behelfs-Stoffmasken entstanden, die innerhalb weniger Tage und ortsteilübergreifend eine respekteinflößende Produktionskette auf die Beine gestellt hat. Mittlerweile sind über 1.000 Masken an die lokalen Krankenhäuser, Pflegedienste und Feuerwehren gegangen – selbst der Bundespräsident hat die ehrenamtliche Arbeit per Telefon gelobt. „Prädikow steht und näht zusammen“ ist nun auf einem Banner gleich gegenüber der eher selten befahrenen Bushaltestelle zu lesen – in puncto Solidarität und Erfindungsgeist hat die Corona-Krise hier eindeutig auch positive Entwicklungen hervorgebracht.
Weitere Informationen zum Netzwerk Zukunftsorte.
Titelfoto: William Jivcoff.
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